Wohltat Stille - Heilmittel für die Informationsgesellschaft

Erschienen als Artikel in "VISIONEN" 11/2013 (von Regina Bönsel), lande das Original hier runter.

Stille
Gebet im Atmen
ist Stille
Liebe in Unendlichkeit
ist Stille
Weisheit ohne Worte
ist Stille
Mitgefühl ohne Absicht
ist Stille
Tätigkeit ohne Handelnden
ist Stille
Lächeln mit der ganzen Schöpfung
ist Stille
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar

 

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Unsere moderne Zeit macht vieles möglich, aber ob alles, was technisch machbar ist, auch sinnvoll und gut für uns
ist, das muss jede(r) für sich überdenken. Dank des Internets können wir heute jederzeit und weltweit in direktem Kontakt zu jedem sein. Doch die ständige
Erreichbarkeit von jedem und allem, etwa in den sozialen Plattformen, hat einen hohen Preis: unsere Seelenruhe.

Stille ist für die einen Verheißung und Sehnsucht – für die meisten aber bleibt sie eine Unbekannte, manch einer mag sie als Bedrohung empfinden. Vor nicht allzu
langer Zeit brachte der Lärm die Menschen aus der Ruhe, heute ist es für viele auch die Stille. Stille und die damit einhergehende geistige Ruhe sind jedoch die besten Voraussetzungen, damit unser Tun erfolgreich wird. In der Ruhe liegt die Kraft, jeder Spitzensportler und Spitzenmanger weiß das heutzutage, aber kaum ein Unternehmen fördert seine Mitarbeiter darin. „Deine Seele ist verdichtete Stille, Liebe, Weisheit und allumfassendes Wissen.“ Stille ist unser Wesenskern, so der spirituelle Lehrer Gurudev Sri Sri Ravi Shankar. „Die Stille ist nicht auf den Gipfeln der Berge, der Lärm nicht auf den Märkten der Städte; beides ist in den Herzen der Menschen“, besagt eine indische Lebensweisheit. Wir leben auf vielen verschiedenen Ebenen: der Ebene des Körpers, des Atems, des Intellekts, des Geistes (Gefühle und Gedanken), des Gedächtnisses, des Egos und des Selbst. Jede dieser Ebenen ist wichtig für uns; wenn eine dieser sieben Ebenen nicht funktioniert, hat dies Auswirkungen auf unsere gesamte Person. „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“, das wusste schon Aristoteles. Wir sind Teil einer großen Schöpfung und wir sind eingeladen, von allem Vorhandenen guten Gebrauch zu machen.

Das Ego zähmen

Das Ego ist jener Aspekt in uns, der uns eine Vorstellung des Getrenntseins vermittelt,
wohingegen die Ebene des Selbst uns den Zugang zur Schöpfung sowohl in uns, als
auch außerhalb von uns ermöglicht. Vielleicht mögen Sie beim Lesen dieser Zeilen kurz
innehalten und wahrnehmen, was in Ihnen passiert? Horchen Sie in sich hinein, nehmen
Sie wahr, welche Gefühle in Ihnen aufsteigen, ganz gleich ob die Unruhe anklopft oder Sie
sich erleichtert fühlen, ob Sie aufatmen oder Ihnen ein Seufzer entweicht. Beobachten Sie
aufmerksam und wertfrei, nehmen Sie alles beherzt an. Uraltes Menschheitswissen, wenn
wir es hören oder lesen, trifft uns immer in unserem Wesenskern, daran können wir seine
Echtheit erkennen. Verfehlt es sein Ziel, dann ist es nicht wahrhaftig.
Unser Leben bewegt sich in vermeintlichen Gegensätzen, denn nicht immer sind die Dinge
so, wie sie uns erscheinen. Wenn wir der inneren Sehnsucht nach Wahrheit, nach dem
Ursprung unseres Lebens, wieder Raum geben, dann werden wir von ganz alleine in die Stille
geführt. Die einen in das Gebet, andere in die Meditation oder Kontemplation. Es liegt in der
Natur unseres Wesens, dass es uns in die Stille zieht, sei es auch nur für Sekunden.
Wenn in unserem Leben Raum für innere Einkehr möglich wird, dann haben wir die große
Chance, dass wir weise, uns und dem Gemeinwohl dienende Entscheidungen treffen werden.
In Verbindung mit der Seinsebene kommen wir ganz sicher zur Problemlösung. Der
Verstand neigt zwar dazu, in seinen gewohnten Bahnen zu denken, aber mit dem Impuls aus
der Tiefe unseres Wesens ist er in der Lage, neue Lösungsansätze zu entwickeln.
Aus der Stille werden die wahrhaft großen Dinge geboren. Still sein und innehalten sind
also keine Zeitverschwendung, sondern ein ganz natürlicher Vorgang, um aufzutanken, um
mit der Kraftquelle in uns und der Intuition in Kontakt zu kommen. Stille werden lehrt uns
auch das Zuhören, uns selbst und anderen. Die innere Einkehr ist die spirituelle Dimension
unseres Lebens. Sie bringt das Beste in uns zum Vorschein und ist zudem der größte und
heilsamste Lehrmeister für das Ego.

Zurück zur Quelle – nur wie?

Einige Fragen können nur in der Stille beantwortet werden. Fragen nach dem Sinn des
Lebens, nach dem Woher und Wohin können nur in der Stille eine Antwort finden. Stille ist
das Ziel aller Antworten. Wenn eine Antwort den Geist nicht zum Schweigen bringt, ist es
keine Antwort. Gedanken sind nicht das Ziel an sich, ihr Ziel ist Stille.
Ein guter Einstieg, um in die Gedankenstille zu gelangen, ist die Atembeobachtung, gefolgt
von Atemübungen. Der Atem verbindet uns mit der inneren Welt der Stille und der äußeren
Welt der Aktivität. Er ist äußerst kraftvoll und zudem jederzeit anwendbar, auch und gerade
inmitten von Turbulenzen.
Das Gebet, die Zwiesprache mit Gott, liegt einem religiös veranlagten Menschen sehr
nahe, aber auch ohne sich als religiös zu bezeichnen, kann man Zwiesprache halten. Wir können
eine Atmosphäre der inneren Begegnung schaffen, die uns erlaubt, unsere Gedanken zu
sortieren, sie aufzuschreiben oder auszusprechen. Wir müssen nur der Einladung unseres
inneren Rufs folgen, dem Ruf, der aufgrund des äußeren und inneren Lärms häufig nicht
mehr wahrzunehmen ist. Lassen Sie sich von Ihrem Selbst führen.
Meditation und Kontemplation sind segensreiche Techniken, die in der Regel in Kursen der
Stille und geistigen Sammlung vermittelt und praktiziert werden. Gemeinsames Singen und
das Beisammensein in einem guten Geist beflügeln die Seele und geben dem nörgelnden,
kritisierenden Geist eine willkommene Auszeit. Wenn wir miteinander singen, spricht das
im Wesentlichen unsere rechte Hirnhälfte an, die für Intuition, Klang, Gesang, Kunst und
Kreativität zuständig ist.
Dr. Martin Luther King sagte einmal: „Glaube bedeutet, die erste Stufe zu nehmen, auch
wenn du nicht die ganze Treppe siehst.“ Die Macht des Glaubens und das Vertrauen in etwas
Größeres, das uns trägt, befähigen uns, scheinbar unüberwindbare Probleme zu bewältigen.
In uns allen liegt diese göttliche Macht, die wir für uns nutzen können, um über die
vermeintlichen Hindernisse oder Begrenzungen hinauszugehen.
Eine Gesellschaft, die es vom Einzelnen über die Familie bis hin zu den Bildungseinrichtungen
und Unternehmen versteht, innere Werte als „geistige Schätze“ und zumindest als
ebenso wichtig wie sogenannte Ego-Fähigkeiten zu erachten, wird Wohlstand auf allen Ebenen
erfahren. Geistige Schätze gehören uns selbst, wohingegen Ego-Schätze nur geliehen
sind.

Angebote der spirituellen Traditionen

„Ohne Gebet und Meditation – die spirituellen Aspekte des Lebens – wird Religion nur zu
einer leeren Hülle“, erklärt Gurudev Sri Sri Ravi Shankar. „Religion ist wie die Schale der Banane, und
Spiritualität ist die Banane. Das Elend in der Welt ist entstanden, weil wir die Banane wegwerfen
und an der leeren Schale festhalten! Wir müssen also den spirituellen Aspekt unseres
Lebens stärken.“
Die großen spirituellen Traditionen haben von einzelnen Schweigetagen bis hin zu mehrwöchigen
Schweigekursen viele Angebote, um den Menschen wieder Zugang zu längst
versiegt geglaubten Quellen zu bieten. Je nach Ausrichtung kann heute jeder sein ganz persönliches
Angebot finden. Allen Traditionen liegt das aufrichtige Bemühen der Selbstverwirklichung
als Ziel zugrunde.

Einladung zur Stille

Diese Übungen können Sie je nach der Ihnen zur Verfügung
stehenden Zeit für ca. 12–15 Minuten ausführen.

Teil 1:
Schüttelübung (ca. 5 Minuten)

Bevor Sie sich bequem auf einen Stuhl setzen, beginnen Sie zunächst im Stehen, mit den
Knien zu wippen. Lassen Sie dabei den Körper in Bewegung kommen, Füße, Beine, Hände,
Arme, Kopf, Gesicht, den ganzen Körper.
Beginnen Sie mit langsamen Bewegungen und werden dann nach einigen Minuten etwas
schneller, bis der ganze Körper in eine Schüttelbewegung gelangt. Wenn Sie den Impuls
verspüren, einen Laut oder Ton von sich geben zu wollen, so tun Sie es. Nach ca. 5 Minuten
beenden Sie die Schüttelübung und kommen zurück in die eigene Mitte, zur Ruhe.

Teil 2:
Den Atem wahrnehmen / Einleitung Meditation
(ca. 3–5 Minuten)

Streifen Sie mit den Händen den Körper von oben nach unten ab, geben Sie mit dem
Ausatmen ganz bewusst alle Gedanken und Gefühle ab. Führen Sie mit dem Einatmen die
Handflächen vor der Brust zusammen. Wenn Sie mögen und es Ihrem Wesen entspricht,
dann verneigen Sie sich innerlich oder äußerlich vor der Gegenwart Gottes.
Setzen Sie sich jetzt mit aufrechter Wirbelsäule auf einen Stuhl und nehmen Sie mit beiden
Füßen Kontakt zum Boden auf. Spüren Sie die Sitzfläche, auf der Sie sitzen, und geben Sie
Ihr ganzes Körpergewicht an den Stuhl ab, auf dem Sie sitzen. Der Oberkörper richtet sich
aus dem Becken heraus frei auf. Ihre Hände liegen mit den Handflächen nach oben zeigend
in Ihrem Schoß oder auf den Oberschenkeln.
Ihre Augen sind geschlossen. Falls Sie eine innere Unruhe bemerken, dann öffnen Sie Ihre
Augen einen Spaltbreit mit der Blickrichtung nach vorne unten.
Nehmen Sie Ihren Atem wahr, wie er durch die Nasengänge ein- und wieder ausströmt.
Beobachten Sie, ohne einzugreifen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Ausatmen und
lassen Sie mit dem Atem jegliche innere Unruhe einfach ausströmen; Sie können dies auch
mit einem Seufzer geschehen lassen.

Teil 3:
Meditation (ca. 5 Minuten)

Nehmen Sie alle Geräusche an, die lauten und die leisen, die nahen und die fernen … Atmen
Sie ganz bewusst ein und aus … Mit jedem Einatmen nehmen Sie Energie auf und mit jedem
Ausatmen geben Sie alle Anspannung ab.
Mit den nächsten Atemzügen lassen Sie die Stille in sich einströmen. Halten Sie jeweils
einen Moment inne, bevor Sie wieder ausatmen.
Genießen Sie den Augenblick der Stille, genießen Sie es einfach, nur da und mit sich zu sein
… Wenn Sie abschweifen, dann lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit anstrengungslos wieder auf
den Atem …
„Meine Seele ist verdichtete Stille … Liebe … Weisheit und allumfassendes Wissen.“
Wiederholen Sie diese Worte innerlich. Verweilen Sie für 3-5 Minuten in der Meditation mit
diesem gedanklichen Impuls.
Beenden Sie langsam die Meditation, indem Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Körper und
auf Ihren Atem lenken. Bewegen Sie langsam Hände und Füße, dann öffnen Sie in Ihrer
eigenen Geschwindigkeit Ihre Augen. Führen Sie die Hände vor der Brust zusammen und
wenn Sie mögen, verneigen Sie sich vor der Gegenwart Gottes.

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Von Regina Bönsel

Regina Bönsel, Jg. 1960, ist eine der ersten deutschen Schülerinnen von Gurudev Sri Sri Ravi Shankar und Gründungsmitglied
von „Die Kunst des Lebens Deutschland e. V.“. Ausbildung zur Yoga- und Meditationslehrerin.
Seit 1994 ist sie in Europa und seit 2008 auch in Russland für die Ausbildung der Seminarleiter von Sri Sri
Ravi Shankars Organisation verantwortlich. Autorin von „Atempause – jetzt!“ (Kamphausen Verlag).