Bangalore, Indien
Gurudev, bitte sprich über Hingabe. Oft bringen die Menschen Hingabe mit Schwäche in Verbindung.
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar:
Hingabe hat zwei Aspekte, einmal von der östlichen, einmal von der westlichen Perspektive aus gesehen.
Wenn du besiegt wirst, gibst du auf, nicht wahr? Das ist die eine Art der Hingabe.
Sklaven zum Beispiel geben sich hin. Es ist keine Hingabe, die wirklich aus dem Herzen kommt, sondern eine Hingabe die auf physischer, mentaler und emotionaler Schwäche beruht. Du lässt dich aufgrund von Schwäche unterjochen. Das ist eine Art der Hingabe.
Nun, wenn es um Spiritualität geht, ist es genau umgekehrt. In der Spiritualität stören dich deine negativen Emotionen und Eigenschaften. Es ist eine große Belastung, sie mit dir herumzutragen. Diese ganze Negativität, die du nicht tragen willst und mit der du nicht umgehen kannst, loszulassen, bedeutet Hingabe im spirituellen Sinn.
Diese Art der Hingabe ist völlig anders und der westlichen Art der Hingabe, die einer Niederlage gleichkommt, völlig entgegengesetzt. Hier geht es um eine Niederlage, die ein Gewinn darstellt. Du hast über dich selbst, deinen Geist und deine Negativität gesiegt, indem du diese Dinge losgelassen und weggegeben hast.
Im spirituellen Sinn bedeutet Hingabe also Kraft, nicht Unterdrückung. Deshalb sagt man dir Sharanagati, wenn du zu einem Vaishnava Tempel gehst, was Hingabe an Gott bedeutet, und wenn du dich hingibst, wirst du mit einer silbernen Krone gekrönt. Im spirituellen Sinn bedeutet das, dass du sehr stark und zum König geworden bist, indem du deine Negativität übergeben hast.
In Kannada sagt man Sharana Sharanarthhi, was bedeutet: "Ich gebe mich demjenigen hin, der sich hingegeben hat."
Die Heiligen werden hier als diejenigen, die sich hingegeben haben, bezeichnet. Und die Heiligen sind sehr stark und werden am meisten respektiert, weil sie ihre ganze Negativität aufgegeben und sie dem Göttlichen übergeben haben. Durch die Übergabe der Negativität bleiben wir sehr positiv, und das bedeutet Heiligkeit. Heiligkeit kann nicht ohne Hingabe geschehen, und Heiligkeit ist keine Sklaverei. Heiligkeit bedeutet, sehr mächtig zu sein.
Sowohl, wenn es um Heiligkeit, als auch, wenn es um Sklaverei geht, wird von Hingabe gesprochen. Auf der einen Seite werden negative Eigenschaften übergeben, auf der anderen Seite werden die eigenen Schwächen akzeptiert. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Arten der Hingabe. Indem du deine negativen Qualitäten und alles, was du nicht haben möchtest, übergibst, wirst du machtvoll.
Die spirituelle Art der Hingabe bringt dir viel Macht, während die westliche Art der Hingabe dich schwächt.
Nun möchte ich dich einen Schritt weiter bringen. Was gibt es überhaupt, was du übergeben könntest? Es gibt nichts zu übergeben.
Wisse, dass alles ohnehin dem großen Geist, dem Universum gehört. Alles gehört sowieso Gott!
Bemühe dich nicht um Hingabe, indem du denkst: "Oh, ich bin fähig oder nicht fähig, mich hundertprozentig hinzugeben." Das alles ist nichts als mentale Gymnastik. Ich sage dir, lass das alles los, entspanne dich und sei einfach.
Reinheit der Gedanken, Klarheit des Geistes und Aufrichtigkeit in den Handlungen sind gefragt.
Gurudev, was ist ein Opfer? Was soll ich opfern und wie soll ich vorgehen?
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar:
Wir müssen verstehen, was ein Oper bedeutet. Du magst etwas und möchtest es haben, aber du gibst es trotzdem auf, um einer anderen Person etwas Besseres zu ermöglichen. Das wird Opfer genannt.
Du willst eigentlich zu einem Picknick oder ins Kino gehen, musst aber irgendwo anders eine bestimmte Arbeit erledigen, die anderen zugutekommt. Du gibst dein Vergnügen zugunsten der anderen Personen auf. Das ist ein Opfer.
Wo es Liebe gibt, ist kein Opfer notwendig. Du kannst nicht davon ausgehen, eine Mutter habe ein Opfer gebracht und auf einen Ausflug verzichtet, weil es ihrem Kind nicht gut ging. Das Wohlbefinden des Kindes ist von höchster Bedeutung für die Mutter. Deshalb ist es nicht so, dass sie etwas geopfert hat. Verstehst du, was ich sagen will?
Von einem Opfer kann man dann sprechen, wenn du dir etwas sehr stark wünschst, es aber aufgibst, weil es anderen Menschen viel Gutes bringen kann.
Lieber Gurudev, ich neige dazu, bei allem, was ich tue nach Anerkennung zu suchen. Wie kann ich mich davon befreien?
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar:
Dass dir das bewusst geworden ist, ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Nun solltest du den Entschluss fassen, dich nicht mehr darum zu kümmern, ob jemand das, was du tust, schätzt oder nicht. „Lass mich das tun, was ich tun muss, und mich nicht darum kümmern, was andere dazu meinen.“ Das reicht. So wirst du die nötige Kraft erhalten.
Gurudev, im neunten Kapitel der Bhagavad Gita hast du erwähnt, dass es einen Unterschied zwischen Wissen und Information gibt. Bitte erläutere uns das.
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar:
Information ist etwas, was dir auch ein Computer liefern kann. Unseren Geist mit Informationen zu füllen ist jedoch nicht Wissen.
Wenn eine Person viele Bücher liest und die ganzen Informationen darin kennt, sprechen wir trotzdem nicht von einem Wissenden.
Informationen aus den Veden, dem Koran und der Bibel zu sammeln und sich auf Kapitel, Seitenzahlen oder Verse zu konzentrieren bedeutet nicht, Wissen zu besitzen, sondern eben nur, Informationen gesammelt zu haben. Wissen ist das, was zur Lebenserfahrung wird. Es ist das, was dich frei werden lässt. Es ist das, was dir einen kurzen Einblick in den Ozean des Friedens gibt, der in dir vorhanden ist. Es ist das, was eine Welle der Liebe in deinem Inneren erweckt und eine Veränderung deiner Persönlichkeit bewirkt.
Informationen zu sammeln ist etwas, was viele der sogenannten Gelehrten tun. Sie sammeln lediglich Informationen und erzählen sie weiter. Willst du sie jedoch dazu bringen, Worte der Weisheit zu sprechen, dann kommt nichts aus ihnen heraus. Das ist so, weil das Wissen ihr Leben in keiner Weise durchdrungen hat. Sie sind immer noch in ihren Wünschen, in ihrer Bitterkeit, in ihrem Neid und in ihrem Ego gefangen. Wie sollen wir sie da Wissende nennen?
Gurudev, heutzutage ist es schwierig geworden, ein guter Mensch zu sein und seine Stimme zu erheben. Woher bekommen schlechte Menschen ihre Kraft?
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar:
Wo ist da Kraft? Es ist nichts als Lärm. Irgendwann sagen die richtigen Menschen immer wieder etwas, aber dahinter verbirgt sich Kraft. Und schlussendlich sind es ihre Aufgaben, die vollbracht werden.
Gurudev, in der Bhagavad Gita sprichst du davon, dass wir dir alle unseren negativen Eigenschaften übergeben sollen. Wie soll ich dir meine negative Eigenschaften übergeben, wenn sie mich nicht stören?
Gurudev Sri Sri Ravi Shankar:
Das ist richtig, nur wenn du dich durch deine negative Eigenschaften beeinträchtigt fühlst, wenn eine Wunde da ist, oder wenn du Schmerzen empfindest, wirst du das Bedürfnis haben, sie zu übergeben. Dann kommt der Gedanke auf, alles loszulassen und leer zu werden. Du leidest, so lange du es aushältst. Wenn du es nicht mehr tragen kannst, wirst du es übergeben.
Leid und Schmerz sind Erfahrungen, durch die du gehen musst. Wenn du das Gefühl hast, es nicht mehr tragen zu könnent, wird die Stimme der Hingabe automatisch aus deinem Inneren auftauchen.